>> Abstrakte Sensibilität /// Florian Steininger /// 2012

Vor kurzem hat Suse Krawagna ihr neues Atelier in der Praterstraße bezogen. Ein kolossaler Ort der atmosphärischen Ruhe, geradezu prädestiniert für ihre lyrisch sensitiven abstrakten Bilder. Wohl geordnet sind sie aufgestapelt, gewähren bei der Durchsicht einen vielschichtigen Einblick in ihr malerisches und zeichnerisches Schaffen. Die Linie per se ist meist als zentraler Bestandteil auf der Leinwand eingeschrieben.

Ein besonderes Gewicht hatte der Strich in ihren Werken in der zweiten Hälfte der 90er-Jahre eingenommen, als sich die Künstlerin von architektonischen Situationen inspirieren ließ. Stiegenhausgeländer oder Fensterläden fungierten als Ausgangspunkt, als Anstoß zur Abstraktion. Das Ergebnis ist jedoch stets autonom zu sehen. Eine strenge Komposition aus diszipliniert gezogenen blauen Linien. Den Grund behandelte Krawagna meist im monochromen Mint-Grün, in matter opaker Wirkung. Ein abstrakter Bildraum hat sich daraus ergeben, nicht vom Realraum abgeleitet, sondern innerbildlich und keineswegs illusionär. Vielleicht am besten vergleichbar mit Kasimir Malewitschs hellen Bildgründen für die geometrischen Formen wie Quadrat, Kreis und Kreuz, die in der kosmischen Weite schweben. Krawagnas Konstruktionen sind aber sachlicher, keineswegs spirituell konnotiert, mehr verwandt mit den Positionen der Minimal Art. Man denke an Donald Judds Reihungen der „Stacks“. Im Kontext der Architektur verdichten sich Krawagnas Konstruktionen zu abstrakten Zeichen, die zentral auf der Bildfläche liegen.

In der Folge transformierte die Künstlerin die strenge Linie in ein flirrend atmosphärisches Feld an Strichlagen. Der persönliche Duktus, die Spur des Arbeitsvorgangs, die Schnelligkeit des Zeichnens war Thema. Das serielle Moment trat nun dadurch auf, dass sie diese Strichlagen in ähnliche Module einfasste, die auf der gleißend weißen Leinwand appliziert wurden. Die Künstlerin spricht hier von der „Differenz im Gleichartigen“, um diametrale Pole zu verbinden: freie Geste und konstruktive Ordnung, grafische Unruhe versus tektonische Ruhe. Erinnert sei an dieser Stelle an das Frühwerk von Markus Prachensky, der über die konkrete Kunst zum abstrakten Expressionismus Anfang der 50er-Jahre fand. Zu dieser Zeit sind jene Hybride entstanden – halb geometrisch halb expressiv.

In einem weiteren groß angelegten Werkblock verwandelt sich die Linie bei Krawagna zu einem glühend malerischen Stab, der in serieller, vertikaler Anordnung Räumlichkeit suggeriert, so als würde man durch einen Spalt oder hinter eine Tür blicken. Das zuvor streng Grafische beginnt nun zu vibrieren, zu schwimmen; gemalte Spur und Bildfläche verweben sich harmonisch miteinander. Malerei und Zeichnung werden eins. Die Fläche fungiert nicht als zweidimensionale Ebene wie bei der Zeichnung, sondern als integrale dreidimensionale Größe. Hier schließen auch die aktuellen Arbeiten von Suse Krawagna an. Sie sind feinnervig, sensibel in der Strichführung. Der Grafit- strich sitzt nicht mehr auf dem Weiß auf, sondern ist im Bild- raum verwoben. Die Spur entmaterialisiert sich, wird zur Lichtzone und schreibt sich luminös in den eleganten Bildgrund ein, der in differenzierter Weise malerisch strukturiert ist.

In der noch immer dominierenden figurativen Malereiszene nimmt Suse Krawagna eine entscheidende „Gegenposition“ ein. Es sind weniger die plakativ anmutenden motivisch und narrativ benennbaren Bildcodes, denn mehr eine analytische Visualisierung von grundlegenden abstrakten Elementen der Malerei: Spur, Komposition, Fläche, Raum, Farbe. Diese abstrakte Strategie zeigt sich als konstante Qualität seit Beginn der Geschichte der ungegenständlichen Malerei, eingeleitet von Kandinsky, Malewitsch und Mondrian. Heute geht es nicht mehr um das neue, Avantgardistische, das Puristische als Antwort auf konventionelle naturalistisch figurative Akademismen, sondern um ein Bekenntnis zu den Werten der abstrakten Malerei, und mit ihr in graduellen Zonen eigenständige Bildentwürfe zu generieren. Es ist ein leiser Dialog mit dem Bild im Arbeitsprozess, ein Herausarbeiten stimmiger, ausbalancierter Kreationen. Das abstrakte Bild muss sich nicht mehr rechtfertigen oder behaupten das Medium mit dem federführenden Stil zu sein. Es existiert in gedämpfter Lautstärke in der pluralistischen Bildwelt von heute – vielleicht als meditative, beruhigende „Gegenwelt“ in unserer reizüberfluteten Gesellschaft.

("Parnass", 03/2012)