>> Kein Titel /// Thomas Amonn /// 2003
Abstraktion und Schematisierung sind Begriffe, mit denen Verschiedenes gemeint sein kann. Zum einen werden Prozesse des Auswählens und Auslassens von Darstellungselementen bezeichnet, ohne dass diese durch bestimmte Resultate als Zielzustände definiert wären. „Abstrakt“ und „schematisch“ sind dann graduelle Ausdrücke, und sie sind relativ: Eine Darstellung ist mehr oder weniger abstrakt oder schematisch, je nach dem, was man als Standard für Vollständigkeit ansetzt.
Zum anderen gibt es auch „abstrakt“ in einem absoluten Sinn, als gleichbedeutend mit „nichtfigurativ“ oder „nichtgegenständlich“. Zwar fällt es nicht immer leicht, Bilder und Skulpturen in figurativ und nichtfigurativ einzuteilen – es gibt zahllose Misch- und Zweifelsfälle. Der springende Punkt ist jedoch, dass nicht die Genese entscheidend für die Kategorisierung ist: Bezeichnet man ein Werk als nichtgegenständlich, so unterstellt man noch nicht, dass es aus einem abstraktiven Prozess resultiert. Ähnlich verhält es sich mit „Schema“ und „Schematisierung“. Daneben gibt es noch den Begriff der Reduktion, der zur gleichen Familie wie Abstraktion und Schematisierung gehört, jedoch nur im ersten, prozessualen Sinn gebraucht wird.
Gegenständlichkeit hat immer mit Symbolen für Einzeldinge zu tun, die in der Anschauung als solche erkannt werden – ganz unabhängig davon, ob die Identifizierung der Symbole auf Konvention oder natürlich begründetem Muster-Erkennen beruht. Nichtfigurative Bilder sind also keine anschaulichen Ding-Symbole, und sie bestehen nicht aus solchen. Wenn man dagegen von Abstrahieren, Schematisieren im ersten Sinn spricht, haben Einzeldinge keine definierende Rolle: Einzeldinge – bzw. Darstellungen von ihnen – können, müssen aber nicht am Anfang stehen; sie spielen nur die Rolle des Ausgangspunkts.
Suse Krawagnas Bilder sind reduzierend; sie gehen von Einzeldingen aus; am Ende des Prozesses stehen gemalte Einzeldinge, die mit den Ausgangsdingen nur in einer genetischen Verbindung stehen. Meist sind diese Ausgangsdinge für die Betrachter mehr oder minder leicht identifizierbar, wie im Fall der bunten Turn- und Klettergeräte auf Kinderspielplätzen; in anderen Fällen muss man bei der Künstlerin nachfragen, um sicher zu sein. Die Unterscheidung ist indes irrelevant: Es geht nicht um die Repräsentation von Einzeldingen – sei es als bestimmte konkrete Objekte, sei als Typus -, sondern um die Überführung von Einzeldingen in einen malerischen Raum. Entscheidend ist, dass am Ende immer noch gemalte Einzeldinge stehen; dass ich von diesen einige leicht als Rutschbahnen, andere nur mehr schwer als Tennisnetze identifiziere, ist dagegen völlig äußerlich.
Die dargestellten Dinge stehen in räumlichen Beziehungen zueinander; dabei handelt es sich jedoch um einen anderen Raum als den dreidimensionalen Raum der Alltagserfahrung, in dem man die Ausgangsobjekte antrifft. Die dargestellten Dinge haben auch eine Geschichte: Diese findet sich in den vielen übermalten, ausgewischten, nebeneinander stehen gelassenen Vorstufen. Dasselbe gilt für den Raum, in dem die Dinge enthalten sind: Auch in ihm ist eine Vielzahl zeitlicher Malstadien präsent, die bei näherem Hinsehen immer mehr werden.
Die gemalte Welt Suse Krawagnas ist also eine Welt räumlicher und zeitlicher Einzeldinge. Niemals werden aus Dinge Muster abstrahiert, und der Raum ist nicht einfach Hintergrund.
Es kommt aber noch etwas anderes hinzu, das nicht so leicht zu beschreiben ist, aber gerade das Eigentümliche dieser Welt ausmacht: Die Bilder gehen über das rein Visuelle hinaus. Nicht zufällig sind die dargestellten Dinge solche, mit denen man sehr intensiv und elementar interagiert: Geländer, Fenster, Tennisnetz, Rutschbahn, Klettergeräte sind Gegenstände von starker haptischer Qualität, und sie sind Gegenstände, in Bezug auf die der Mensch sich als Bewegender erfährt – als Kind wie als Erwachsener.
Die Eigenschaften der Dinge, die im Reduktionsprozess herausgefiltert werden, sind also nicht nur visuelle Eigenschaften: In den gemalten Dingen lebt auch etwas von dem weiter, wie die Ausgangsdinge körperlich gefühlt und erfahren werden.
(Katalogtext zur Ausstellung "Suse Krawagna, Esther Stocker – Faistauer-Preisträgerinnen 1999 und 2002", Galerie im Traklhaus, Salzburg, 2003)